Europaforum 2006: Effizientes Regieren, Grenzen und Aufnahmefähigkeit

Das 10. Europa-Forum des Österreichischen Instituts für Sicherheitspolitik (ÖIES) galt diesmal dem großen Themenbogen unter dem Motto "Die EU vor existentiellen Herausforderungen, effizientes Regieren, Grenzen und Aufnahmefähigkeit der EU".

30.11.2006



Mag. Othmar Karas, MEP

Das Europaforum 2006 wurde in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Landesverteidigung und für Auswärtige Angelegenheiten sowie der Wirtschaftskammer Österreich durchgeführt. Das Europaforum hatte das Ziel, den Stand des europäischen Verfassungsprozesses, das brennende Thema der Identität und Grenzen der EU, die Bedeutung der Aufnahmefähigkeit im Zusammenhang mit künftigen Erweiterungen sowie den Stand der Entwicklung der ESVP zu analysieren und diskutieren. Die ganztägige Veranstaltung in der Wirtschaftskammer Österreich fand vor einem sachverständigen Publikum statt und brachte eine Fülle neuer Erkenntnisse und Lösungsmöglichkeiten.

ÖIES-Präsident Dr. Werner Fasslabend setzte sich für eine Gesamtstrategie ein, in der einzelne Felder eingebettet und nicht von Fall zu Fall irgendwie geregelt werden. Für die EU sei die Zeit reif, gemeinsame Ziele und Interessen klarer zu definieren. Einzelstaaten hätten keine Chance allein zu handeln. Für Europa wäre es wichtig, im Bereich des auswärtigen Handelns kohärent aufzutreten und auch eine europäische Energiepolitik zu entwickeln.

Außenamtsstaatssekretär Dr. Hans Winkler bezeichnete die österreichische EU-Präsidentschaft als mustergültig. Der Staatssekretär setzte sich für rasche Beitrittsverhandlungen mit Kroatien ein, dessen  Mitgliedschancen er optimistisch beurteilt. Winkler warnte vor einem billigen Antiamerikanismus, die USA seien "nach wie vor ein wichtiger Partner".

"Es gibt keine europäische Öffentlichkeit mit einer sachgerechten Debatte", analysierte das Mitglied des Europäischen Parlaments Mag. Othmar Karas. Die Anstrengungen im Bereich der Kommunikation durch die Brüsseler Institutionen reichen nach Meinung des Vizepräsidenten der Fraktion der Europäischen Volkspartei nicht, um die zunehmend kritische Stimmung der Bevölkerung in die EU zu erfüllen. Die Bürger, so Karas, seien zu mehr Integration bereit als viele glaubten. Es sind vor allem die Mitgliedsstaaten und ihre Regierungen, die im europäischen Integrationsprozess Visionen und Mut vermissen lassen. Die nationale Politik verfolge auch das Ziel, die Verantwortung für unpopuläre Maßnahmen Brüssel zuzuschieben. Es sei auch bedauerlich, dass weder im Bereich des nationalen politischen Diskurses und der Medienberichterstattung Europa zunehmend kein Thema sei. So lange keine europäische Öffentlichkeit bestehe, lebe die Fehleinschätzung der Brüsseler Integrationsleistungen fort. Zwischen Stimmung und Realität bestehe eine echte Kluft.

Verfassungsvertrag und Problemlösungskapazität

Das erste Diskussionspanel behandelte den Stand des EU-Verfassungsprozesses und die Notwendigkeit,  die Problemlösungskapazität und die Effizienz der EU-Entscheidungsprozesse sicherzustellen.

"Niemand mag Macht verlieren", meinte der ungarische Europa-Abgeordnete Prof. Dr. György Schöpflin. Für Botschafter Dr. Philippe de Schoutheete, früherer Ständiger Vertreter Belgiens bei der EU, ist es bedenklich zu leugnen, dass sich die Gemeinschaft durch die Ablehnung des Verfassungsvertrages in einer Krise befinde. "Eine Wertegemeinschaft muss ihre Werte auch leben", stellte der frühere Bundesminister Dr. Caspar Einem fest. Der Abgeordnete zum Nationalrat und Europa-Sprecher der SPÖ bezweifelt, dass derzeit nationale Parteien bereit wären, in europäischen Parteien aufzugehen. Janis A. Emmanouilidis vom deutschen Centrum für angewandte Politikforschung präsentierte unterschiedliche Szenarien zur Überwindung der Verfassungskrise, die derzeit diskutiert werden. Er arbeitete heraus, dass nur eine EU-neu in einer globalen Welt als Großprojekt mit neuen Begründungen eine entsprechende Rolle spielen könne. Botschafter Dr. Manfred Scheich, der Vorsitzende des Panels und früherer Ständiger Vertreter Österreichs bei der EU,  fasste zusammen, dass man die Union nicht schön reden dürfe, die Lage der Gemeinschaft sei ernst und bedürfe einer nüchternen  Bewertung.

Europäische Identitätsbildung

Die Befürchtungen wegen der Erweiterung sind nach Meinung von Prof. Dr. Michael Gehler von der Universität Hildesheim ernst zu nehmen. Er wies auf die Bemerkung des früheren deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt hin, Europa stehe vor einer Selbstbehauptung oder einer Selbstzerstörung. Die neuen Mitglieder aus Mittel- und Osteuropa sind zwar formelle Mitglieder der EU, sie reagieren aber laut Gehler nicht entsprechend. Die eigene Identität ist untrennbar mit Grenzen verbunden, referierte Prof. DDr. Christian Stadler von der Universität Wien. Europa-Werte seien keine Ideologie, sondern die Triebkräfte eines einmaligen Friedensprojekts. Auch die erweiterte EU verbinde nicht nur eine oft leidvolle gemeinsame Geschichte, sondern auch gemeinsame Werte, wie griechischer Humanismus, Römisches Recht, Christentum und Aufklärung. Dieses gemeinsame geistige und kulturelle Erbe bestehe, man müsse es aber den Europäern bewusst machen und den Identitätsbildungsprozess fördern.

Grenzen und Aufnahmefähigkeit

Der Vorsitzende, Botschafter Dr. Hochleitner, wies darauf hin, dass die EU durch die große Erweiterung an die Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit gelangt sei und dass dieses bei den bisherigen Erweiterungsverhandlungen vergessene Kopenhagener Kriterium im Interesse des Erhalts der Union ernst genommen werden müsse. Der Vizepräsident der CDU-Fraktion im deutschen Bundestag, Dr. Andreas Schockenhoff, setzte sich für die Durchsetzung des Verfassungsentwurfes ein und verwies darauf, dass mit dem geltenden Vertrag von Nizza die Gemeinschaft mit 27 Mitgliedern nicht arbeitsfähig sei und unterstrich, dass die Union für ihre Funktionsfähigkeit eine rechtliche Grundlage, wie den Verfassungsvertrag benötige. Die Union müsse mit Priorität konsolidiert und weiterentwickelt werden und damit ihre Arbeits- und Zukunftsfähigkeit sicherzustellen. Es sei notwendig, die Grenzen der Union eindeutig zu definieren und es sei auch mit der Sicherheit der Union unvereinbar, die Grenzen der Union bis an den Iran, Irak, Syrien und den Kaukasus zu erweitern. Dies sei eine sicherheitspolitische Überdehnung.  Die politischen Kriterien für die Aufnahme in die EU dürften nicht verwässert werden. "Keine Identität ohne klare Grenzen", ergänzte Botschafter Prof. Dr. Michel Foucher von der Robert Schuman-Stiftung, Paris. Politik müsse das Aufnahmeverständnis der Bürger in Sachen EU präzis beachten. Europa bedürfe einer inneren Kohäsion in kultureller, politischer und sozioökonomischer Hinsicht. Das integrierte Europa ist nach Ansicht von Botschafter Scheich an den Grenzen seiner institutionellen Fähigkeiten angelangt. Gemeinsame Politiken auf der Grundlage eines klaren Konzepts müssten nach innen und nach außen eindeutig erkennbar sein. Für eine höhere Qualität der EU-Institutionen setzte sich Prof. Dr. Wolfgang Quaisser von der Politischen Akademie Tutzing und dem Osteuropa-Institut München ein. Bereits die große Erweiterung habe die politische Ökonomie nicht verbessert, denn eine immer größere Zahl von Nettoempfängern stehe einer kleinen Zahl von Nettozahlern gegenüber. Wirtschaftliche und soziale Disparitäten seien gewachsen und es werde 30 Jahre und länger brauchen, um diese abzubauen. Die EU entferne sich immer mehr vom Lissaboner Ziel, leistungsstärkste und innovativste Volkswirtschaft der Welt zu werden.

Die EU als internationaler Akteur

Die EU beginne sich schrittweise als erfolgreicher und nachgefragter internationaler Krisenmanager zu etablieren. Bisher habe die EU dreizehn zivile und militärische Operationen durchgeführt, auch der schwierige EU-Einsatz zum Schutz der Wahlen im Kongo auf Ersuchen der UNO sei erfolgreich verlaufen, berichtete der österreichische Vertreter im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee, Botschafter Dr. Franz-Josef Kuglitsch. In Militäreinsätzen seien mehr als 90.000 Soldaten im Einsatz, davon nur 7.000 bisher unter der Fahne der EU. Die übrigen Einsätze erfolgen im Rahmen der UNO und NATO. Das EU "battle group"–Konzept werde umgesetzt und ab Jänner 2007 voll operativ sein. Mit der zivil-militärischen Planungszelle und dem ab 2007 funktionierenden Operationszentrum im Rahmen des EU-Militärstabes verfüge die Union über bescheidene Planungs- und Führungskapazitäten. Botschafter Dr. Günter Burghardt, der frühere Generaldirektor für internationale Beziehungen bei der EU-Kommission sieht trotz aller Probleme die Gemeinschaft als "Säule der repräsentativen Demokratie". Die Solidarität in der Gemeinschaft sei weiter gediehen als vielfach angenommen und öffentlich registriert wird. Eindeutige Zeichen für die Selbstbehauptung Europas und die Bekämpfung des Terrorismus forderte Prof. Dr. Anthony Glees von der britischen Brunel-University ein. Die europäische Gesellschaft müsse bereit sein, zu ihren Werten und zu ihrer Kultur zu stehen und diese allenfalls zu verteidigen. Die europäische Gesellschaft dürfe sich nicht von außen eine Selbstzensur auferlegen. Er forderte von der Politik eine klare Sprache, die sich auch mit den Gefahren des Islamismus ernst auseinandersetzt. 40% der in Großbritannien lebenden Muslime vertreten islamisch-fundamentalistische Tendenzen.


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