Status Quo der Visegrád Gruppe: Implikationen und Ausrichtung der neuen slowakischen Regierung
Lívia Benko: Status Quo der Visegrád Gruppe: Implikationen und Ausrichtung der neuen slowakischen Regierung. AIES Studies 2/2024.
07.10.2024
Die folgende AIES Studie wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Landesverteidigung (BMLV) verfasst und widmet sich jüngsten Entwicklungen der Viségrad-Gruppe nach den Wahlen in der Slowakei. Die Visegrád Gruppe (V4) ist eine wichtige Plattform für die regionale Zusammenarbeit zwischen den Ländern Polen, Ungarn, der Slowakei und der Tschechischen Republik, welche in den letzten drei Jahrzehnten gut funktionierte. Die sich überschneidenden Interessen der Mitgliedsstaaten sowie weitgehende Einigkeit in Kernfragen ermöglichten eine gemeinsame Lösungsfindung. Das Format, welches durch Differenzen bezüglich Rechtsstaatlichkeit und die Missachtung der EU-Werte durch Polen und Ungarn in den letzten Jahren erschüttert wurde, sieht sich aktuell mit Turbulenzen konfrontiert. Die Entwicklungen des russischen Angriffskrieges seit 2022 und die unterschiedlichen Positionen der V4-Länder in Bezug auf die Unterstützung der Ukraine verschlechterten die Beziehungen der V4 noch weiter.
Der Krieg veränderte die Dynamik innerhalb des Formats erheblich und polarisierte die Gruppe, indem er zwei Fronten schuf und die Gruppierung von einer V3+1 in eine V2+2 , mit einem pro-russischen populistischen Flügel von Viktor Orbán (Ungarn) und Robert Fico (Slowakei) auf der einen Seite und einem progressiveren, zu westlichen Werten tendierenden Flügel von Petr Pavel (Tschechische Republik) und Donald Tusk (Polen) auf der anderen Seite, umformte. Ungarn mit seiner pro-russischen Haltung und seiner unsolidarischen Reaktion auf den Krieg in der Ukraine sowie der Verweigerung militärischer Hilfe für das Land, hat einen Verbündeten in der Slowakei und ihrer neuen pro-russischen Regierung gefunden, die das Land auf einen Weg bringt, der in die gleiche Richtung wie Ungarn führt. Diese Entwicklungen behindern die Einheit der Gruppe und die sich daraus ergebenden großen Unterschiede in den Länderpositionen machen eine Wiederbelebung einer koordinierten Außen- oder Europapolitik vorerst unmöglich. In der Zwischenzeit arbeiten die V4 auf einer gedämpften politischen Ebene weiter und versuchen, die bestehenden Differenzen zurückzudrängen.
Trotz der veränderten Dynamik und der Meinungsverschiedenheiten glauben die führenden Vertreter:innen der V4, dass das Format eine Zukunft hat. Nach Beendigung des Krieges in der Ukraine hofft die Gruppe, sich in wichtigen Fragen wie der Erweiterung der Europäischen Union und der regionalen Zusammenarbeit wieder zusammenzufinden. Die Kommunikation zwischen den Ländern ist auf vielen Ebenen noch möglich. Es bleibt abzuwarten, wie sich die neuen politischen Orientierungen und das Regierungshandeln Polens und der Slowakei unter neuer Führung auf die Visegrád-Gruppe auswirken werden. Die negativen Maßnahmen, die die russlandfreundliche slowakische Regierung in letzter Zeit ergriffen hat, insbesondere die Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit und neue umstrittene Gesetze, könnten die Kluft innerhalb des Formats vertiefen, da sie in starkem Kontrast zur Position Polens stehen, wo der Regierungswechsel das Land in eine pro-europäischere Richtung gelenkt und den Streit mit Brüssel gedämpft hat.