Sicherheitspolitische Standortbestimmung Österreichs 2022

Franz Cede: Sicherheitspolitische Standortbestimmung Österreichs 2022, AIES Kommentar 2/2022

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30.05.2022


Der militärische Angriff Russlands auf die Ukraine, der am 24. Feber begann und tragischer Weise fortdauert, markiert eine Zeitenwende, wie es der deutsche Bundeskanzler ausgedrückt hat. Mit einem Schlag wurde die europäische Sicherheitsarchitektur und die internationale Völkerrechtsordnung, die seit 1945 mühsam aufgebaut und in Geltung gesetzt wurden, zertrümmert. Das kollektive System der Sicherheit der UNO hat schon längst versagt. Russland ist gleichzeitig der Aggressorstaat und verfügt als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates über ein Vetorecht. Somit verhinderte es ein effektives Tätigwerden dieses Organs, das gemäß UNO Satzung die Hauptverantwortung für die Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit trägt. Der österreichische Vertreter bei der UNO in New York, Botschafter A. Marschik, hat dazu in einer mutigen Rede vor der UN-Generalversammlung am 24.3. wörtlich erklärt: „Wenn der Sicherheitsrat in einer Situation, die einen eklatanten Bruch des Völkerrechts darstellt, blockiert ist, sollten wir uns die Frage stellen, ob das System des Vetorechts noch fähig und legitim ist, unsere internationalen Beziehungen zu regeln". Während der Generalsekretär der UN, Antonio Guterres, zu einem Besuch in Kiew weilte, trafen russische Raketen die ukrainische Hauptstadt. Was für eine zynische Botschaft, welche Missachtung der UNO und ihres höchsten Amtsträgers. Alle internationalen Vermittlungsbemühungen um eine Lösung des seit Jahren schwelenden Konflikts in der Ostukraine sind seit dem 24. Feber Geschichte. Das zweite Minsker Abkommen vom 12.2.2015, das der Ostukraine Frieden bringen sollte, ist tot.

Bereits seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland 2014 ist auch das Budapester Memorandum von 1994, mit dem der Ukraine als Gegenleistung für ihren Verzicht auf Nuklearwaffen von den Unterzeichnerstaaten, darunter von Russland, die Achtung der Souveränität in den bestehenden Grenzen zugesagt wurde, Makulatur. Alle, die an die Geltung und Wirksamkeit völkerrechtlicher Regeln glaubten, wurden aus ihren Illusionen gerissen. Auf dem europäischen Kontinent werden wir täglich Zeugen, wie die Grundnormen des Völkerrechts vor unserer Haustür gröblich verletzt und mit Füßen getreten werden. Entsetzlich sind auch die gravierenden Verstöße gegen das humanitäre Recht, über die laufend aus dem Konfliktgebiet berichtet werden. Die friedliche Welt, in der wir im Westen Europas seit zwei Generationen lang leben durften, existiert nicht mehr.

Zu lange Zeit hat die freie Welt, zu der Österreich gehört, die aggressive Politik des Putin-Regimes nicht ausreichend ernst genommen. Stichwortartig seien die Konflikte seit dem Amtsantritt Putins als Präsident der Russischen Föderation im Jahre 2000 genannt, in denen der Kreml seine strategischen Ziele mit äußerster Härte militärisch verfolgt hat und weiter verfolgt, ohne, dass ihm die westliche Staatengemeinschaft entscheidend entgegen getreten ist: Brutale Niederschlagung der tschetschenischen Aufstandsbewegung zu Beginn der ersten Putin-Administration, Destabilisierung Transnistriens durch die fortgesetzte russische Militärpräsenz, militärische Intervention im Georgienkonflikt 2008 mit dem Ergebnis, dass zwei abtrünnige Gebiete (Abchasien, Südossetien) unter russische Kontrolle gebracht wurden, gewaltsame Annexion der Krim 2014, militärische Destabilisierung des Donbass mithilfe pro-russischer Separatisten, militärisches Eingreifen Russlands im Syrienkonflikt auf Seiten des syrischen Machthabers Assad, militärisches Eingreifen Russlands mittels der Söldnergruppe Wagner in Libyen, Mali und der Zentralafrikanischen Republik. Weitere militärische Präsenz existiert im Sudan, Mosambik, Madagaskar, Syrien und Jemen. Anfang 2022 militärisches Eingreifen Russlands im Rahmen der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) bei den Unruhen in Kasachstan zugunsten der herrschenden Staatsführung von Präsident Tokajew.

 


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