Der Strategische Kompass der EU

Velina Tchakarova, Michael Zinkanell, Sofia M. Satanakis und Christoph Schwarz: Europas Sternstunde einer geostrategischen Neuausrichtung, in: Der Strategische Kompass der Europäischen Union – Ziele, Perspektiven und Chancen für Österreich, Wien 2021.

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15.11.2021


Angesichts der veränderten globalen geostrategischen Lage dürfen sich die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten einer Neupositionierung ihrer strategischen Agenda nicht verschließen. Eine Neuaufstellung geopolitischer Konkurrenz und die Renaissance bipolarer Systemkonfrontation dämpfen die Hoffnung auf einen weiteren Ausbau der regelbasierten Weltordnung und des Multilateralismus. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Vertiefung der Verteidigungskooperation im Rahmen der EU geboten. Die künftige Ausrichtung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist ein entscheidender Faktor der Sicherheitsvorsorge für den Raum der Union.

In diese Diskussion wurde von verschiedenen Seiten die Idee einer „strate- gischen Autonomie" Europas eingebracht. Dabei ist klar festzuhalten, dass es nicht darum geht, ob wir eine solche wollen sollen, sondern darum, wie diese strategische Autonomie positioniert und ausgestaltet wird. Es besteht nämlich die Gefahr, dass sich EU-Staaten über diese Idee entzweien und verteidigungspolitisch divergentere Lager in der Union herausbilden.

Europa ist weder geografisch noch ökonomisch oder kulturell ein geschlossener Raum. Folglich kann auch die strategische Autonomie nicht als exklusives Programm implementiert werden. Sie soll und darf sich nicht gegen andere Staaten und internationale Organisationen wenden, sondern muss von einem wertegeleiteten und synergetischen Miteinander getragen sein. In diesem Sinn wurde auch die EU-NATO-Kooperation in den Vertrag von Lissabon eingeschrieben. Die transatlantische Sicherheitsklammer und eine sich festigende Verteidigungsidentität der Europäischen Union sind per se kein Widerspruch.

Mit dem Prozess zur Erarbeitung eines Strategischen Kompasses will die Union die allgemeinen politischen Visionen der Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik von 2016, auch wenn diese mancherorts schon als veraltet gelten, in vier ausgewählten Themenkörben in vertei- digungspolitische Ziele und Vorgaben herunterbrechen. Dabei werden in den Themenfeldern Krisenmanagement und Resilienz primär Ziele, in den Körben Fähigkeiten und Partnerschaften eher Mittel und Instrumente fokussiert.

Der Kompass-Prozess ist in einem allgemeinen Sinn strategisch konzipiert, dabei aber so zieloffen angelegt, dass sich auch kleinere EU-Staaten wie Österreich gestaltend einbringen können. In diesem Sinn ist es auch wichtig, die Frage, welche Beiträge Österreich langfristig und nachhaltig zu den Projekten des Strategischen Kompasses leisten kann, so weit offen zu lassen, dass wir im Verlauf dieses dynamischen und ergebnisoffenen Prozesses unsere Ideen und Vorschläge nachjustieren können.

Der vorliegende Sammelband treibt und resümiert einen Expertiseprozess im Bundeministerium für Landesverteidigung, mit dem wir den Kompass-Prozess begleiten und Handlungsoptionen für die österreichische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ausloten wollen. Ich danke den Autorinnen und Autoren und unseren sicherheitspolitischen Partnerinstituten für ihre Beiträge, aber auch den Expertinnen und Experten des Bundesministeriums für Landesverteidigung für die professionelle Betreuung einer Publikation, die sich gleichermaßen an Fachleute, Politik, Militär, Diplomatie, Medien und an die interessierte Öffentlichkeit richtet.

Mag. Klaudia Tanner
Bundesministerin für Landesverteidigung


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