Talk im Hangar Bachmut

Der Kampf um Bachmut

Michael Zinkanell im „Talk im Hangar-7“

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15.03.23 / Salzburg / Europäische Sicherheit und Verteidigung


Direktor Michael Zinkanell war als Diskussionsgast beim „Talk im Hangar-7“ eingeladen, um über die aktuellen militärischen Entwicklungen in der Ukraine, insbesondere die Kämpfe in Bachmut, zu sprechen. Darüber hinaus debattierten die Diskussionsteilnehmer:innen Sevim Dağdelen, Herbert Bauer, Susanne Weigelin-Schwiedrzik und Georgij Makazaria über die Waffenlieferungen des Westens, die Aussichten auf Friedensverhandlungen und die Rolle Chinas.

Die Komplexität des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sowie die militärischen und politischen Entwicklungen der Umstände konnten aus Zeitgründen und aufgrund des Diskussionsformats nicht ausführlich beleuchtet werden. Daher hat das AIES Team ausgewählte Aussagen analysiert, um einige Aspekte der Diskussion für die Zuseher:innen und die interessierte Öffentlichkeit in einem größeren und klareren Kontext darzustellen. Damit soll ein umfassenderer und differenzierter Einblick in die Kriegsgeschehnisse und deren Ableitungen ermöglicht werden.

Die strategische und symbolische Bedeutung von Bachmut

  • Die intensiven Kämpfe um die Stadt Bachmut im Oblast Donetsk sind weiterhin voll im Gange. Ein konkreter Ausblick darüber, wer die Kämpfe für sich bestimmen kann, kann mit Stand Mitte März nicht abgeleitet werden.

  • Die Bedeutung für Russland: Bachmut hat sowohl strategische als auch symbolische Relevanz für Russland. Aus strategischer Sicht würde die Einnahme von Bachmut den russischen Truppen den Weg nach Kramatorsk und Slovyansk (ca. 50 km nördlich) öffnen und damit die Verteidigungslinie der Ukraine im Oblast Donetsk weiter Richtung Nordwesten zurückdrängen. Damit würde das russische Ziel, den gesamten Oblast zu erobern, näher rücken. Symbolisch ist die Stadt aus zwei Gründen wichtig: Erstens würde ein Sieg über Bachmut den ersten nennenswerten militärischen Erfolg der russischen Streitkräfte seit letztem Sommer bedeuten. Zweitens wäre es ein symbolischer Sieg für Jewgenij Prigoschin, Befehlshaber der Wagner-Söldner, welcher den zugesicherten Erfolg seiner Truppen gegenüber dem Kreml liefern muss.

  • Die Bedeutung für die Ukraine: Die Kämpfe um Bachmut binden eine große Zahl an russischen Truppen (Wagner-Söldner und reguläre Einheiten), die nicht in anderen Gebieten gegen die Ukraine eingesetzt werden können. Obwohl keine verifizierbaren Daten zu den Verlusten vorhanden sind, gehen alle Prognosen davon aus, dass russische Truppen und Gerät im Verhältnis zu den ukrainischen Einheiten stärker abgenutzt werden. Durch die sukzessive Schwächung der russischen Einheiten erhofft sich die Ukraine zukünftige militärische Durchbrüche und Gebietsbefreiungen, die durch die hohen Verluste auf russischer Seite begünstigt werden. Ein Verlust von Bachmut und eine Verlagerung der Verteidigungslinie nach Nordwesten würde außerdem eine Verzögerung für die im Frühling geplanten Gegenoffensiven der Ukraine bedeuten. Symbolisch ist Bachmut auch für die Ukraine essenziell, insbesondere weil Präsident Selenskyj weiter an der militärischen Rückeroberung der Stadt festhält und dies immer wieder öffentlich betont.

  • Für beide Seiten ist der Erfolg in Bachmut auch über die Verluste bzw. den militärischen Misserfolg der jeweilig anderen Partei definiert.

Fehlgeschlagene Friedensverhandlungen und die Gräueltaten von Butscha

  • In der Diskussion wurde auf die Gespräche zwischen Ukraine und Russland verwiesen, welche im März 2022 in der Türkei stattfanden und angeblich durch den Westen (insbesondere die USA) torpediert wurden. Die vor dem russischen Angriffskrieg bestehenden Dialog- und Verhandlungsformate (Minsker Vereinbarung und OSZE Special Monitoring Mission) wurden kaum erwähnt, ebenso wenig, dass Russland mit Beginn des Angriffskriegs diesen Formaten und Vereinbarungen jegliche Grundlage entzog.

  • Beim Treffen am 29. März 2022, welches unter türkischer Vermittlung in Istanbul stattfand, stellten die ukrainischen Vertreter:innen das „Istanbuler Kommuniqué“ vor. Dieses Dokument präsentierte in zehn Punkten nicht nur einen Vorschlag für die ukrainische Neutralität und internationale Sicherheitsgarantien, sondern auch die Voraussetzungen für einen Waffenstillstand. Das kompromissbereite Angebot der Ukraine mit der Intention die Kämpfe zu beenden, enthielt zudem keine Forderungen hinsichtlich eines Rückzugs der russischen Truppen hinter die Kontaktlinie vom 23. Februar 2022. Die unmittelbare Reaktion aus dem Kreml lautete, dass es noch zu früh für eine Waffenruhe und ein Treffen zwischen Putin und Selenskyj sei.

  • In der ersten April-Hälfte 2022 wurde auf dem digitalen Kommunikationsweg weiter über den ukrainischen Vorschlag verhandelt. Jedoch kam es im Zuge der Verlagerung der russischen Truppen in den Süden und Osten des Landes (nach dem Scheitern des Angriffs auf die Hauptstadt) zur Aufdeckung massiver Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung wie unter anderem in Butcha und Iprin, was die ukrainische Kompromissbereitschaft minderte.

  • Nach dem russischen Abzug aus Butscha, einem Vorort von Kyiv, Anfang April 2022 wurden dort über 400 getötete ukrainische Zivilist:innen und Kriegsgefangene gefunden. Anhand von Untersuchungen von Video- und Fotomaterial sowie der Auswertung von Telefonprotokollen von russischen Soldaten konnte das russische 234. Luftlanderegiment für die Ermordungen verantwortlich gemacht werden, welche im März 2022 durchgeführt wurden. Darüber hinaus konnte auf Grundlage der Beweise die Systematik der Tötungen erkannt werden, welche als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft werden können.

  • Auf Basis der Datenlage herrscht kein Zweifel an dem von russischen Soldaten durchgeführten Massaker an der ukrainischen Zivilbevölkerung in Butscha, anders als es in der „Talk im Hangar-7“ Diskussion angedeutet wurde. Die Gräueltaten spiegeln außerdem die anhaltende russische Strategie wieder, welche die Bevölkerung durch direkte Angriffe (auch auf dem Luftweg) zu demoralisieren und den Kampfeswillen der Ukrainer:innen zu brechen versucht.

Desinformationskampagnen im Kontext der russischen Invasion der Ukraine

  • In der Debatte eröffnete sich nur unzureichend die Möglichkeit auf Desinformationskampagnen einzugehen und es entstand der Eindruck, dass russische und ukrainische Methoden zur Beeinflussung der europäischen Politik und Gesellschaft Ähnlichkeiten aufweisen. Ohne in diesem Zusammenhang tiefgehend auf die vielseitigen und langfristig andauernden Desinformationskampagnen einzugehen, sollen einige Ableitungen aus der Analyse von russischer Desinformation Erwähnung finden.

  • Russische Desinformation – die gezielte, systematische und beabsichtigte Verbreitung von nachweislich falschen Informationen als Mittel der externen Einflussnahme und der Absicht Bevölkerungen zu spalten – wird in Bezug auf die Ukraine bereits seit der Annexion der Krim 2014 innerhalb der EU verbreitet. Auch im deutschsprachigen Raum nutzt der Kreml seit Jahren diverse Netzwerke in traditionellen und sozialen Medien sowie die russischen Staatssender (Russia Today oder Sputnik), um Desinformation über die Ukraine und ihre Bevölkerung zu erstellen und zu verbreiten. Bereits 2013 bezeichnete die Chefredakteurin von Russia Today ihren Sender als „Informationswaffe“, um politische Systeme zu unterminieren und die Gesellschaft zu polarisieren und Missmut zu schüren.

  • Zu russischen Desinformation-Narrativen mit Ukraine-Kontext zählen unter anderem, dass Russland gegen Faschisten kämpfen würde, dass Russ:innen und Ukrainer:innen ein Volk darstellen würden, dass der Westen Krieg gegen Russland führen würde oder dass die Unterstützung der Ukraine zum Niedergang von Deutschland (oder anderen Staaten) führen würde. Das Ziel des Kremls ist es die europäische Solidarität und Unterstützung der Ukraine zu hemmen bzw. den Widerstandswillen der Bevölkerung gegen Russlands Aggression zu brechen und den russischen Angriffskrieg zu legitimieren.

  • Empfehlenswerte Hintergrundinformationen zum Thema und Faktencheck-Beiträge sind unter anderem auf EU Disinfo Lab, EUvsDisinfo, AFP Faktencheck oder der Website der EU Kommission zu finden.

  • Selbst wenn man der Ukraine vorwirft aus ihrer Verteidigungsrolle heraus die europäische Politik und Bevölkerung für ihre militärischen Vorhaben zu gewinnen, kann die ukrainische politische Rhetorik in keiner Weise mit der Intensität, der Aggressivität oder dem Ausmaß an russischer Desinformation verglichen werden.

Kriegsziele und territoriale Ambitionen Russlands

  • Zudem wurde in der TV-Debatte mehrmals das Argument vorgebracht, dass es sich beim russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht um einen territorialen Konflikt handeln würde – mit Verweis auf die russischen Sicherheitsinteressen, jedoch ohne differenzierte Beurteilung der politischen und militärischen Realitäten. Um nicht Gefahr zu laufen, dass solche Aussagen direkt oder indirekt die russischen Desinformationsnarrative wiedergeben bzw. den russischen Angriffskrieg legitimieren, wird hier ein Abriss der russischen Ambitionen und Ziele skizziert.

  • Die seitens der russischen Führung erklärten Kriegsziele in der Ukraine haben sich im Zuge des Misserfolgs am Schlachtfeld kontinuierlich verändert.

  • Ende 2021, vor Beginn des Angriffskriegs, verlangte die russische Regierung einen Abzug der NATO aus Osteuropa und die Verkleinerung dieser auf jene Mitglieder, wie sie 1997 bestanden. Diese Forderung war sowohl politisch als auch militärisch unerreichbar. Jene Staaten mit der größten Gefährdung durch Russland – etwa die baltischen Staaten, aber auch Polen – wären damit der russischen Aggression (wie sie 2008 in Georgien und 2014 in der Ukraine bereits auftrat) schutzlos ausgeliefert. Die später ausgerufene „Denazifizierung“ und „Demilitarisierung“ der Ukraine wurden in diesem Zusammenhang jedoch nicht genannt.

  • In seiner Rede zu Beginn der Invasion im Februar 2022 erklärte Putin als Ziele die „Demilitarisierung“ und „Denazifizierung“ der Ukraine sowie die „Befreiung“ der Oblaste Luhansk und Donezk. Der konzentrierte Angriff auf Kyiv sowie mehrmalige Versuche, die ukrainische Führung zu töten, zeigen dabei auf, dass man in Wahrheit einen Regimewechsel bzw. den Einsatz einer Marionettenregierung erzielen wollte. Die Eroberung der zwei Oblaste im Donbass hingegen zeigt klar eine territoriale Komponente des Konflikts auf.

  • Dem Abzug der russischen Truppen aus dem Norden der Ukraine Ende März 2022 und der erfolgreichen ukrainischen Offensive im Oblast Charkiw folgte die versuchte Annexion der vier, nicht vollständig kontrollierten, Oblasten Luhanks, Donezk, Zaporizhzhia und Kherson. Damit hatte sich das Ziel der russischen Führung klar auf einen territorialen Eroberungsfeldzug konzentriert. Die seitdem andauernden Kämpfe in diesen vier Oblasten mit dem erklärten militärischen Ziel der Eroberung des Donbass unterstreichen dies.

  • Ein territorialer Konflikt war damit von Anfang an gegeben, da der ressourcenreiche Donbass auch bei einer Eroberung Kyivs „befreit“ – also annektiert – werden sollte. Mit dem Fehlschlag weitergehender Zielsetzungen, wie dem Einsetzen einer Marionettenregierung und dem Zerschlagen der ukrainischen Armee, trat diese territoriale Komponente noch klarer zu Tage und wurde auf zwei weitere Oblaste ausgedehnt. Die derzeitige „Verhandlungsbasis“ Russlands beruht auf dem Halten des eroberten Gebiets.

  • Damit ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine eindeutig ein territorialer Konflikt, der zuerst eine langfristige Eingliederung der Ukraine und Belarus in eine Union mit Russland bedeutet hätte, nun eine graduelle Eroberung ukrainischen Territoriums umfasst. Auch bei einem Waffenstillstand oder temporären Frieden würde das russische Regime – dadurch innen- wie außenpolitisch bestärkt – mittelfristig weitere Eroberungsfeldzüge in Gang setzen. Die Zeitachse Annexion der Krim (2014) – Eroberung von Teilen des Donbass durch Stellvertreter-Kräfte und nicht uniformierte russische Truppen (2014) – Annexion von vier Oblasten (2022) zeigt dies deutlich auf.

Wirtschaftliche Sanktionen gegenüber Russland und ihre Wirkung

  • Als Reaktion auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine und die völkerrechtswidrige Annexion ukrainischer Gebiete hat die EU eine Reihe von weitreichenden Sanktionen erlassen. Im Zuge der „Talk im Hangar-7“ Sendung wurde suggeriert, dass jene Sanktionen der russischen Wirtschaft nur begrenzt schaden. Diese Darstellung stimmt nicht mit der Analyse der Entwicklung der russischen Wirtschaft überein.

  • Zu den EU-Sanktionsmaßnahmen zählen insbesondere gezielte und umfangreiche Sanktionen gegen Personen und Institutionen sowie Wirtschaftssanktionen und Visasanktionen. Zu den Wirtschaftssanktionen gehören zahlreiche Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen im Wert von knapp €150 Mrd., wobei insbesondere der Exportstopp von Hochtechnologie-Gütern der russischen Wirtschaft langfristig enormen Schaden zufügen wird.

  • Hinzukommen €21,5 Mrd. an in der EU eingefrorenen russischen Vermögenswerten und €300 Mrd. an blockierten Vermögenswerten der russischen Zentralbank. Ebenfalls hervorzuheben ist der Importstopp von Rohöl und Erdölerzeugnissen in die EU sowie die Ölpreisobergrenze für Rohöl und Erdölerzeugnisse, die ihren Ursprung in Russland haben und die Handelsgewinne Russlands erheblich schwächen.

  • Expert:innen rechnen mit gravierenden Folgen für die russische Wirtschaft bei anhaltenden Sanktionen, insbesondere struktureller Natur. Im Jahr 2023 erwartet die OECD eine Veränderung des russischen BIP um -5,6%, einen weiterhin starken Rückgang der Exporte bei vergleichsweise hohen Importen sowie eine anhaltend hohe Inflation. Einen guten Überblick über den Umfang und Reichweite der EU-Sanktionen bietet die Info-Grafik des Europäischen Rates.


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