Die EU ein globaler Akteur - Anspruch und Wirklichkeit
Am 23. November 2007 fand im Festsaal der Diplomatischen Akademie Wien das 11. Europaforum statt.
26.11.2007
Bundeskanzler a.D. Wolfgang Schüssel und Klubobmann der ÖVP, Staatssekretär Dr. Hans Winkler, Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten
Am 23. November 2007 fand in der Diplomatischen Akademie das 11. Europaforum zum Thema „Die EU ein globaler Akteur - Anspruch und Wirklichkeit“ statt. Zentral waren die Fragen, inwieweit die EU gerüstet sei, den neuen globalen Herausforderungen zu entsprechen, die Interessen und Ziele Europas erfolgreich zu vertreten und die globale Tagesordnung mitzubestimmen. Neben den USA und einem wieder erstarkten Russland sind China und Indien zu internationalen Akteuren herangewachsen, wodurch eine multipolare Welt entstanden ist.
Das Europaforum wurde vom Präsidenten des ÖIES, Dr. Werner Fasslabend, und vom Direktor der Diplomatischen Akademie, Botschafter Jiri Gruca, eröffnet.
Staatssekretär Dr. Hans Winkler gab in seinem Eröffnungsreferat einen Überblick über den Reformvertrag, der den Vertrag von Nizza ablösen und zukünftiger Ordnungsrahmen für die EU sein wird. Der Reformvertrag übernimmt im institutionellen Bereich die Regelungen des Verfassungsvertrags, blendet jedoch "staatspolitische" Aspekte des Verfassungsvertrags aus. Die Union erhält Rechtspersönlichkeit und überwindet die bisherige "3-Säulen-Struktur". Bedeutend ist die Stärkung der Demokratie durch die Einführung eines vollen Mitentscheidungsrechts des Europäischen Parlaments und die Stärkung der nationalen Parlamente. Eine Grundrechtecharta soll die Union als Wertegemeinschaft stärken. Der Europäische Rat wird eine formale Institution und bekommt einen neuen, auf zweieinhalb Jahre gewählten Präsidenten. Der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik wird die Kompetenzen des ursprünglich geplanten EU-Außenministers übernehmen.
Dr. Wolfgang Schüssel, Bundeskanzler a.D., zeigte wichtige zukünftige Herausforderungen der EU auf. Im Sinne Walter Hallsteins betonte er, dass man angesichts der sich rasch wandelnden europäischen Realitäten eigentlich an Wunder glauben müsse, um die aktuelle Situation zu begreifen. Die heutige EU sei in keiner Weise vergleichbar mit der Union, der Österreich beigetreten sei. Die alten Mitgliedsstaaten konnten mit dem schnellen Tempo nur schwer Schritt halten und man habe wichtigen Themen wie der Aufnahmefähigkeit der EU und den Erwartungen der Bürger im Zusammenhang mit der Globalisierung zu wenig Gehör geschenkt. Der Vertrag von Lissabon bringe eine Reihe von Reformen und stärke die Handlungsfähigkeit der Union. Gleichzeitig sei es wichtig, die Debatte um die künftige Gestalt der EU voranzutreiben. Europa müsse "gelebt werden", um vorwärts zu kommen. Um als globaler Akteur agieren zu können, sei eine Vernetzung der verschiedenen Politikbereiche der EU zentral. Insbesondere die Außenpolitik sei zu fragmentiert und die Einigung auf gemeinsame Positionen schwierig.
Session 1: Eine neue multipolare Welt
Dr. Dana Allin vom IISS London beschrieb die Schwierigkeiten der USA, ein Weltordnungssystem zu akzeptieren, dass auf dem Begriff der Multipolarität aufgebaut ist. Er ging auf die Bedenken prominenter Kritiker ein, die die Existenz einer multipolaren Welt negieren, sie aus moralischen Vorstellungen ablehnen und auch die Legitimität eines solchen Systems in Frage stellen. Ziel der USA sei es, die nationalen Interessen im bilateralen Dialog mit China, Indien, Russland und den einzelnen europäischen Staaten zu verfolgen. Allin betonte, dass das transatlantische Bündnis derzeit noch auf wackeligem Fundament stehe.
Botschafter Franz Cede zeigte die Komplexität und Widersprüchlichkeit Russlands auf, wie Wirtschaftsboom in den Städten und weit verbreitete Armut in der Provinz. Russland habe die Last der Vergangenheit bisher nicht überwunden. Auch im heutigen Russland sei der autoritäre Charakter der Staatsgewalt - ein jahrhundertealtes Charakteristikum - bestimmend. Die Auflösung der Sowjetunion verbunden mit dem Verlust der Weltmachtstellung habe ein noch nicht überwundenes Trauma in der russischen Gesellschaft bewirkt. Dies habe auch zur Folge, dass Präsident Putin heute als "Inkarnation der Wiedererstarkung und der nationalen Einheit" erscheint.
Professor Raja Mohan (Nanyang Universität Singapur) bezeichnete Indien aufgrund seiner demokratischen Traditionen, Vielfalt, Bevölkerungsdichte und Prägung durch westliche Prinzipien als sui generis Akteur im globalen System. Mohan unterstrich, dass Indien derzeit noch keinen "europäischen Partner" sähe, sondern eher auf bilaterale Kooperationen baue. Er setzte sich dafür ein, Schwierigkeiten und Unterschiede im internationalen System anzugehen, anstatt die Augen davor zu verschließen. Er forderte, über Definitionen sowie Grenzen einer multipolaren Welt nachzudenken. Mohan warnte davor, soft power als Ersatz für hard power zu verstehen, da nur beide zusammen effiziente Mittel der Politik seien.
Dr. Franco Algieri (C·A·P München) stellte dar, dass Europa gegenüber China eine entsprechende Politik entwickeln müsse. Europa habe lange Zeit ein verzerrtes Chinabild gehabt, das auf einer schwachen EU-Chinapolitik und fehlenden Expertise in Europa basierte. Nur langsam habe sich ein realistischerer Dialog zwischen China und der EU entwickelt. Als künftige Merkmale der Entwicklung Chinas bezeichnete Algieri: Kontinuität im Wirtschaftswachstum, der ideologischen Ausrichtung der Politik sowie des traditionellen Harmoniebedürfnisses der chinesischen Gesellschaft. Er betonte, dass China einen friedlichen Aufstieg verfolge und unterstrich die Notwendigkeit, den Aufstieg Chinas als "verantwortungsbewusste Großmacht" zu fördern, anstatt China zu isolieren.
Session 2: Äußeres Handeln - Durchsetzung europäischer Interessen
Zsolt Nemeth, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des ungarischen Parlaments, betonte, dass die EU Ambitionen brauche, um global mit anderen Akteuren Schritt zu halten. Dazu müssten europäische Strategien vor dem Hintergrund gemeinsamer Werte, realistischer Fähigkeiten und finanzieller Möglichkeiten definiert werden. Die EU müsse dringend lernen, mit einer Stimme zu sprechen, Solidarität zu entwickeln und ihre verschiedenen Instrumente zu nutzen.
Botschafter Dr. Thomas Mayr-Harting, Politischer Direktor im BMfeiA, stellte fest, dass allein die große Erwartungshaltung an die EU Ausdruck ihres Erfolges sei. Dennoch müsse die EU zunächst Lösungen für regionale Probleme entwickeln, bevor sie sich an globale Herausforderungen wage. Die Kosovo-Frage sei in diesem Zusammenhang die "Gesellenprüfung", an der die EU nicht scheitern dürfe.
Dr. Franco Algieri wies darauf hin, dass Europa große Probleme habe, gemeinsame Interessen zu formulieren und dass diese Schwäche von anderen Akteuren ausgenutzt werde. Diese seien tendenziell bemüht, ihre Ziele durch bilaterale Lösungen durchzusetzen. Aufbauend auf der Europäischen Sicherheitsstrategie müsse die EU trotz unterschiedlicher Erfahrungen und Traditionen die Handlungsfähigkeit nach außen stärken, eine umfassende globale Agenda und gemeinsamen Willen entwickeln sowie strategische Interessenskoalitionen mit Partnern auf gleicher Augenhöhe eingehen.
Dr. Franck Debié (Fondapol Paris) wies darauf hin, dass es mittelfristig für die EU von größter Bedeutung sei, Wachstum und Prosperität zu fördern, um angesichts starker Konkurrenz und zunehmender Machtpolitik wirtschaftlich weltweit Einfluss zu haben. Die EU müsse sich für fairen und freien Handel sowie globalen Wachstum einsetzen, um sozialen Spannungen entgegenzuwirken.
Session 3: Ist die Union für eine globale Rolle Europas gerüstet?
Dr. Klaus Hänsch, MEP und früherer Präsident des Europäischen Parlaments, stellte fest, dass die EU zwar nicht den Status, aber dennoch die Verantwortung einer Weltmacht habe. Die EU müsse intern funktionsfähig und global handlungsfähig sein. Es sei wichtig, dass die EU Stabilität und Kohärenz nach außen repräsentiere und z.B. im Verhältnis zu Russland und in der Kosovo-Frage eine geschlossene Position einnehme. Der Reformvertrag erhöhe die Chancen für eine bessere Handlungsfähigkeit. Er warnte davor, dass sich die EU durch die Erweiterungspolitik unter Zugzwang setze und sich vom Ziel der inneren Kohärenz entferne. Je größer die EU werde, desto mehr entferne sie sich von ihren Bürgern.
Der Europa-Abgeordnete Elmar Brok betonte, dass die bisherige Erweiterungspolitik nicht fortgesetzt werden könne, da dies zu einer Destabilisierung der EU führe. Die politischen Kriterien müssten in Zukunft streng beachtet werden. Die EU könne nur neue Mitglieder aufnehmen, wenn die Aufnahmefähigkeit ohne Gefährdung des Integrationsprozesses gegeben sei. Im Rahmen der Partnerschafts- und Nachbarschaftspolitik sei es wichtig, zur Stabilisierung des europäischen Umfelds beizutragen, ohne zwangsläufig eine Vollmitgliedschaft in Aussicht zu stellen. Die EU sei ein erwünschter global player, schaffe es aber bislang nicht, sich über den Status eines global payer hinaus zu entwickeln. Sie müsse Strategien entwickeln, die es für andere globale Akteure lohnenswert gestalten, mit der EU als Einheit anstatt mit den Mitgliedsstaaten bilateral zu verhandeln.
Klaus Hänsch, MEP und früherer Präsident des Europäischen Parlaments, Dr. Werner Fasslabend und Elmar Brok, MEP.